Haklebunt

Esslinger Zeitung, 01.06.01
von Regina Schultze
Das Wohnzimmer als skurriler Märchenpark
Könegen: Kuschelmilben aus Samtsatin grüßen bei Andrea Halm von dem Sofa - Fast jedes Möbelstück ist künstlerisch bearbeitet
"Mir gefallen skurrile Figuren", sagt Andrea Halm. Das ist auch in der Wohnung der Familie zu sehen: Seltsame Gestalten tummeln sich an den Wänden, kuriose Kuscheltiere auf den Möbeln und bunte Pappmaché-Figuren stehen in den Gängen. "Ich muss immer irgendas machen", sagt die gelernte Druckvorlagenherstellerin. Malen, nähen, filzen, töpfern, Silber schmieden, Tiffany-Lampen oder Lederbekleidung herstellen: "Ich fang alles an, was mir Spaß macht".
Wer zum ersten Mal die Halmsche Wohnung in Köngen betritt, kommt aus dem Staunen kaum heraus. Vorbei an der bürstenschwingenden Putzfrau, die sich drch ein Loch in der Türe windet, befindet man sich mitten in einer grellbunten Mischung zwischen Kunstgalerie und Märchengarten. Kaum ein Gegenstand, der nicht selbst gemacht oder künstlerisch bearbeitet wurde. "Als wir Lampen gebraucht haben, hab' ich Tiffany angefangen, als die Wände kahl waren, Bilder gemalt. Daneben gibt es Lampenschirme aus Heizungsschächten, zylinderförmige Rückenlehnen aus Filz, asymmetrische Blumenübertöpfe aus Gips, abstrakt bemalte Seidenvorhänge, genähte Tischdecken in Phantasiemustern, eine Nixe über dem Aqaurium. Beim geschwungenen Einbauschuhschrank greift auch mal Ehemann Martin, ein gelernter Werkzeugmacher zur Stichsäge. "Er ist der Penible. Bei mir muß nicht alles so genau sein", sagt die leidenschaftliche Handwerkerin. Die Reaktionen der Gäste sind unterschiedlich. "Manche schlucken schon zwei Mal", lacht Andrea Halm. Nicht nur wegen so seltsamer Figuren wie etwa "Rita, das Rippstück", einer kindergroßen alienartigen Dame in Lila. "So bunt ist ja auch nicht jedermanns Sache." Für Sensible etwas gewöhnungsbedürftig dürften die Sofakissen sein. Etwa die ein Meter große gelbe Kuschelmilbe, die zwei Meter lange rotgetönte "Sauriernachgeburt" oder die schwarze Zecke auf dem Sofa mit dem fetten "vollgesaugten" Hinterteil. Spielzeug für die drei Kinder - die 13-jährige Miriam, die 11-jährige Laura und die sieben Jahre alte Theresa - sind die überdimensionierten Tiere aus Seidensamt allerdings nicht: "Das ist brutal viel Arbeit und die sind auch ziemlich empfindlich", sagt die Mama, die das teure Grundmaterial vor dem Nähen auch noch selbst einfärbt.
Marionetten wie der Gorilla, der in der Küche hangelt, das chinesische Pärchen auf dem Schrank oder das Burgfräulein mit dem Ritter stammen aus einer früheren Schaffensphase. Ich mach' heute nur noch total abstrakte Sachen"", sagt die Kreativfrau. Zum Beispiel morgens, wenn die Kinder in der Schule sind. Dann geht's in den Arbeitsraum, das "Chaoszimmer". Unterm Dach entstehen die großformatigen Werke in Leuchtfarben. Und mit Bandwurm-Titeln. Etwa: "Nach der durchzechten nacht mit Paul fühlt sich Edgar wieder reichlich perforiert im Magen". Oder: "Eine sich an eine Gruppe tuschelnder Antikörper heranschleichende Hepatitis, hoffend, wichtige strategische Details zu erheischen". Diese Texte denkt sich ihr jüngerer Bruder Jochen aus, "bei einem Espresso oder einem Glas Sekt". Kreativität liegt scheint's in der Familie. It doch Jochen Maier einer der Köpfe des bekannten Köngener Vereins gegen unterdrückte Lebensfreude.
"Ich muß mich immer irgendwo austoben", sagt die 38-Jährige. Keinesfalls lenkt sie ihren Tatendrang auf den Haushalt. "Das ist einfach ein blödes Geschäft", grinst sie. Und nur erträglich, wenn man auch jeden Tag etwas Produktives mit längerer Haltbarkeit macht.